Die nachstehende Karte "Eine etwas anderen Heimatkunde" unterscheidet sich sehr von den üblichen touristischen Land-karten, Hochglanzprospekten und Gästeführern. Sie zeigt die düstere Rückseite -den schmutzigen, blutigen Hinterhof- der Bodenseeregion. Diesen zeigt man beflissentlich nicht seinen Gästen. Besucher- und Urlauber*innen und selbst viele Einheimische haben keine Ahnung von dessen Existenz.
Mit dem Ex-Militär Ferdinand Graf Zeppelin und seiner Idee, "lenkbare, starre Luftschiffe" zu bauen, kam Anfang des 20.Jahrhundert die Rüstungsindustrie an den Bodensee. Auch wenn das Projekt zivil begann, konnte es bedingt durch die riesigen Kosten und den 1.Weltkrieg, nur durch die massive Förderung durch das Militär zu einem vorübergehenden Erfolg werden. Der Krieg führte zu einem umfassenden Aufbau von Industrieanlagen und enormen Expansions kriegswichtiger Produktionen.
Zum Betrieb der Luftschiffe waren Motoren, Getriebe, Transmissionen, Wasserstoff und viele weiteren Produktions-einrichtungen erforderlich. Aus Zeppelin entstanden Firmen wie: Maybach (Motoren) -heute Rolls-Royce Power Systems/MTU-, ZF-Zahnradfabrik Friedrichshafen (Getriebe), Dornier (Flugzeuge) -heute Airbus Defence & Space und andere.
Annähernd Hundert Militär-Zeppeline wurden im 1.Weltkrieg für Heer und Marine gebaut. Viele verunglückten wetter- oder technikbedingt kampflos. Zeppeline dienten vorzugsweise der Luft- und Seeaufklärung bei Heer und Marine. Sie wurden aber auch als "Bomber" eingesetzt und warfen zwischen 1914 und 1918 über 200 Tonnen Bomben auf europäische Städte, von England bis Bulgarien. Die "riesigen Zigarren" verbreitete, wo sie auftauchten, Angst und Schrecken. Mit dem zunehmenden Aufkommen der wendigeren Kampf-Flugzeugen der Franzosen und Engländer wurde sie eine immer leichtere Beute und verloren schnell ihre bis dahin gegebene Lufthohheit. Zeppelin erkannte das bald und beauftragte zu Beginn des Krieges seinen Konstrukteur, Claude Dornier, mit der Entwicklung und dem Bau von Kriegsflugzeugen.
Das Kriegsende mit dem Versailler Vertrag brachten ein Verbot weiterer Rüstungsproduktionen und die Demontage der Rüstungsanlagen in Friedrichshafen. Dornier umging das Verbot mit Hilfe seiner Lobby, wich nach Italien, Spanien und die Schweiz (Altenrhein gegenüber Friedrichshafen) aus um dort seine Flugboote weiter zu entwickeln und zu bauen. Zeppelin baute in den Jahren der Weimarer Republik u.a. seine berühmt gewordenen Großluftschiffe für den weltumspannenden Zivilluftverkehr. Maybach baute seine berühmten Luxuskarossen, Motoren für Lokomotiven, Luftschiffe und Automobile. ZF entwickelte und baute Getriebe für die unterschiedlichen Anwendungen.
Mit der Machtübergabe durch die Nationalsozialisten ab 1933 folgte ein Jahrzehnt der Hyperaufrüstung für den 2.Weltkrieg. Friedrichshafen wurde wieder voll auf Kriegswirtschaft ausgerichtet. Eine nie dagewesene Expansion war die Folge. Die alten vier großen Rüstungsbetriebe machten Friedrichshafen und den Bodenseeraum zu einem der kriegswichtigsten Rüstungs-standorte im Deutschen Reich:
Bis zu 14.000 Fremd- und Zwangs-Arbeitskräfte und etwa 1.200 KZ-Häftlinge (größtenteils aus Dachau), waren in den Rüstungsschmieden und Friedrichshafen zwangseingesetzt. Sie waren in unterschiedlichen Lagern untergebracht.
Zum Schutz vor den ab 1943 zunehmenden Luftangriffen auf die Rüstungsfirmen in der Stadt, wurde eine Auslagerung der Betriebe angestrebt. Von Oktober 1944 bis April 1945 gruben dafür mehrere Hundert KZ-Häftlinge -unter erbärmlichsten Bedingungen- einen mehrkilometer langen unterirdischen Stollen in einen Melassehügel bei Überlingen. Doch 11 Luftangriffe der Alliierten, der schwerste am 28. April 1944, legte Friedrichshafen und die Rüstungsbetriebe in Schutt und Asche. Bei diesem Angriff gingen innerhalb von fünfzig Minuten 185.000 Brandbomben, 580 Sprengbomben und 170 Luftminen auf die Stadt nieder. 136 Menschen wurden unmittelbar getötet. Ingesamt starben knapp 1.000 Zivilisten. Genauere Zahlen über die zu Tode gekommene Fremd-, Zwangsarbeiter und Kz-Häftlinge gibt es nicht.
Was schworen die Deutschen 1945? Nie wieder Waffen - Nie wieder Krieg!
Doch am Bodensee war das schnell vergessen.
Für die konservativen Machteliten in Politik, Wirtschaft, Finanzen und Medien ist eine Welt ohne Waffen und Militär undenkbar!
Das Rüsten geht weiter. Deutschland strebt, entsprechend seiner wirtschaftlichen Machtstellung, nach mehr weltpolitischen Einfluss. Die grundgesetzlichen
Beschränkungen militärischem Engagement auf reine Landesverteidigung, werden zunehmend trickreich umgangen. Die Bundeswehr ist heute in vielen teuren Auslandseinsätzen. Daraus entstehen immer
neue, größere und kostenträchtigere Ansprüche an ihre Ausrüstung, Bewaffung und Dienstleistungen und mithin an die Rüstungsindustrie.
Heute erforschen, entwickeln und produzieren auf deutscher Seite des Bodensees etwa Dutzend -zum Teil sehr große, global tätige- Rüstungsbetriebe mit einer großen Anzahl Zulieferbetrieben, Sub- und Sub-/Subunternehmen, an noch wirkmächti-geren und grausameren Kriegswaffen und Rüstungsgütern.
Auf schweizer Seite finden wir gut ein halbes Dutzend bedeutende Rüstungsbetriebe. Und im österreichischen Vorarlberg wurde kürzlich ein Betrieb mit Produkten für die militärische Schießausbildung entdeckt.
Mit zwischen 7.000 bis 8.000 Tausend Beschäftigten ist die Bodensee-Region heute wieder eines der größten Rüstungsclusten in Deutschland und Europa.